Rückblick: Internationale Aktivitäten

Im multilingualen Kontext Südtirols

Kindheitspädagogik (EHB) meets Bildungswissenschaften (unibz): Zur Anbahnung einer Kooperation zwischen dem Studiengang Kindheitspädagogik der EHB und dem Studiengang Bildungswissenschaften für den Primarbereich der Freien Universität Bozen reiste Professorin Dr. Natascha Naujok Ende Mai 2022 für eine Woche nach Südtirol an den Standort Brixen. Der Aufenthalt wurde als "staff mobility" mit Erasmus-Mitteln ermöglicht und war in vielen unterschiedlichen Hinsichten sehr lohnend.

Gastvortrag Prof. Dr. Natascha Naujok an der Universität Bozen
© Foto: Jeanette Hoffmann
Gastvortrag Prof. Dr. Natascha Naujok an der Universität Bozen

Der Beitrag beginnt mit einer groben Gegenüberstellung der Studiengänge einschließlich der Praktika, berichtet von zwei Hospitationen in Südtiroler Bildungseinrichtungen, geht auf den besonderen mehrsprachigen Kontext Südtirols und schließlich auch auf den fachwissenschaftlichen Austausch in dieser Woche ein.

Vergleich der Studiengänge

Der 10-semestrige Master-Studiengang Bildungswissenschaften für den Primarbereich fokussiert ähnlich wie der 7-semestrige Bachelor-Studiengang Kindheitspädagogik Kinder bzw. Arbeitsfelder mit Bezug auf Kinder in der Altersspanne von 0 bis 12 Jahren. Zwischen den Studiengängen bestehen allerdings zwei wesentliche Unterschiede. In Berlin wird zunächst ein Bachelor-Abschluss erworben, der in einem zweiten Schritt um einen Master-Studiengang erweitert werden kann, wohingegen in Brixen von Beginn an ein Masterstudiengang belegt wird. Zudem entscheiden sich die Berliner Studierenden bereits zu Studienbeginn für die Kindheitspädagogik und damit gegen einen Lehramtsstudiengang, wohingegen die Brixner Student:innen die Entscheidung, ob sie einen Master-Studienabschluss für die Arbeit als „Kindergärtner:in“ oder als „Grundschullehrperson“ erwerben möchten, erst nach ihren ersten Praktika treffen.

Neben der fokussierten Altersspanne besteht eine weitere Gemeinsamkeit der Studiengänge in der hervorgehobenen Bedeutung der Theorie-Praxis-Verzahnung. Für die Praktika sind in beiden Studiengängen 45 Credit Points vorgesehen. Mit einem sehr gehaltvollen einstündigen Gespräch haben Frau Martina Michaeler, eine der siebenundzwanzig Brixner Praktikumskoordinator:innen, die sowohl in der Organisation als auch in der Lehre tätig sind, und Natascha Naujok den Grundstein dafür gelegt, studentische Praktika an dem jeweils anderen Ort zu ermöglichen. Sehr hilfreich waren hierfür auch zwei Besuche an pädagogischen Einrichtungen.

Besuch der Bildungseinrichtungen

Einen Vormittag verbrachte Naujok im Kindergarten Elvas. Der Kindergarten Elvas ist ein deutschsprachiger Dorfkindergarten, der im laufenden Jahr von sechzehn Kindern besucht wird. Das erst wenige Jahre alte Gebäude wird den Bedürfnissen von Kindern in besonderer Weise gerecht, dies auch aus dem Grund, dass die Leiterin Dagmar Erlacher in den Entwurf des Baus einbezogen worden war. Auch die Ausstattung erfüllt alle erdenklichen kindlichen und pädagogischen Wünsche. An dem Hospitationsvormittag ereignete sich passenderweise auch eine pädagogisch besonders gehaltvolle Spielsituation, die sich zu einem echten mechanischen Problem entwickelte, das am Ende von einigen beharrlich arbeitenden Kindern selbstständig gelöst werden konnte – und durfte. Mit Begeisterung sangen die Kinder an diesem Vormittag dem Gast noch drei ihrer Lieblingslieder vor. Zum Abschluss tauschten Erlacher und Naujok sich ausführlich über pädagogische Konzepte sowie über Rahmenbedingungen in Südtirol und Berlin aus. Die zweite Hospitation fand am folgenden Tag statt. Naujok war für eine Doppelstunde zu Besuch in der deutschsprachigen Brixner Montessori-Grundschule. Hier präsentierte eine Drittklässlerin ihren Mitschüler:innen ihre anspruchsvolle Arbeit über Polen, bevor sich alle Kinder ihren eigenen Aufgaben widmeten. Sie gingen dabei sehr planvoll vor; die Arbeitsintensität fand Ausdruck in konzentrierter Stille.

Sowohl der Kindergarten als auch die Grundschule waren, wie erwähnt, deutschsprachig. Welche Bedeutung hat das im multilingualen Kontext Südtirols? Der Umgang mit Sprachen ist hier, wie überall, stark von der Geschichte geprägt. Südtirol gehört seit 1920 zu Italien, zuvor war es österreichisch bzw. gehörte zu Österreich-Ungarn. Südtirol ist eine autonome Provinz mit erheblichen Selbstverwaltungsrechten auch mit Bezug auf seine offiziellen Sprachen: Italienisch, Deutsch und Ladinisch. Die drei Sprachen werden amtlicherseits klar getrennt. Südtiroler:innen müssen sich zu einer der Sprachen bekennen und werden dann als deren Sprecher:innen gezählt. Die Bildungseinrichtungen vom Kindergarten über die Schule bis zu den Studiengängen sind entweder deutsch- oder italienischsprachig – nicht bilingual (das Ladinische ist noch einmal ein besonderer Fall, da es lediglich in zwei Tälern Südtirols als Hauptsprache gilt). Auch die Studierenden der Bildungswissenschaften für den Primarbereich müssen sich also zu Studienbeginn entscheiden, ob sie in der deutsch- oder der Italienischsprachigen Abteilung studieren möchten. Bis zum Ende des Studiums müssen sie dann noch in der jeweils anderen Sprache und in Englisch eine Prüfung absolvieren. Ein Hin-und-her-Wandern zwischen den Abteilungen ist nicht vorgesehen. An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass in der internationalen Mehrsprachigkeitsforschung zunehmend herausgearbeitet wird, dass und wie mehrsprachige Individuen sich über ihr sprachliches Gesamtrepertoire definieren.

Multilingualer Kontext

Der multilingualen Situation Südtirols war denn auch die Tagung der AG Schriftspracherwerb im Symposion Deutschdidaktik e.V. gewidmet, die am 27. und 28. Mai an der Universität in Brixen stattfand. Unter der Überschrift „Schriftspracherwerb im mehrsprachigen Kontext Südtirols“ hatten die Brixener Kolleg:innen Professorin Dr. Jeanette Hoffmann, Professorin erster Ebene für Didaktik der deutschen Literatur, und Professor Dr. Sven Nickel, Professor erster Ebene für Schriftspracherwerb und Literalität, etwa fünfundzwanzig Kolleg:innen aus Deutschland, der Schweiz und Südtirol eingeladen. Am ersten Tag standen zwei Vorträge, eine Datensitzung, ein Workshop und drei Posterpräsentationen mit Diskussionen auf dem Programm. Am zweiten Tag ging es dann zu einem thematischen Spaziergang in die Berge, wobei die weite Aussicht auch die Horizonte der unterschiedlichen Gespräche zu erweitern vermochte.

Im Anschluss an die Tagung fand ein fachlicher Austausch insbesondere mit Professorin Dr. Jeanette Hoffmann und der Dozentin Maria Teresa Trisciuzzi aus der italienischen Abteilung statt. Naujok besuchte die offenen Dialoge (dialoghi aperti), die an der Fakultät für Bildungswissenschaften ausgerichtet werden und sich neben Kolleg:innen und Studierenden vor allem an Pädagog:innen aller Fachrichtungen, Lehrpersonen, Eltern, Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit und auch an Jugendliche richten. Der Veranstaltungstitel des Sommersemesters 2022 lautete „Dialoge für den Frieden“. In diesem Rahmen hielten Jeanette Hoffmann, Maria Teresa Trisciuzzi und die Lehrbeauftragte Elisabeth von Leon einen deutsch-italienischen Vortrag: „In der Kinderliteratur vom Frieden erzählen in Zeiten des Krieges“. Am folgenden Tag war Naujok eingeladen, einen Gastvortrag zu halten. Sie stellte ihre qualitativ-empirische Studie zu studentischen Reflexionen über einen kinderliterarischen Ausstellungsbesuch vor, die inhaltlich an das Südtiroler Semesterthema anschlussfähig war: „Susi, the Granddaughter of House No. 4 – Multimedia and Multimodal Narrative Spaces for Imagining and Historical Remembering“. Der Vortrag fand auf Englisch statt, da zu diesem Anlass Studierende und Dozent:innen der deutsch- und der italienischsprachigen Abteilung zusammenkamen und so eine ausgewogene dialogische Situation geschaffen werden konnte. Bei dieser Gelegenheit stellte Naujok eingangs auch die EHB und den Studiengang Kindheitspädagogik vor und warb für ein Auslandspraktikum oder ‑semester in Berlin. Die Vorträge sowie die vorangegangene Tagung fanden sämtlich in der sehr anregenden KinderLiteraturWerkstatt statt.

Die Erasmus-Woche, die hier unter die Überschrift „Kindheitspädagogik (EHB) meets Bildungswissenschaften (unibz)“ gestellt wurde, hat die Kooperation zwischen der Evangelischen Hochschule Berlin und der Freien Universität Bozen, zwischen den Studiengängen Kindheitspädagogik und Bildungswissenschaften für den Primarbereich sowie zwischen den Kolleginnen Hoffmann und Naujok auf vielfältige Weise befördert. Ermöglicht wurde dies durch das Erasmus-Programm und das Engagement aller Beteiligten.

Bilder vom Besuch in Brixen

Unigebäude mit Fahrrädern
© Uni Brixen
Unigebäude mit Fahrrädern
Tagungsplakat
© Uni Brixen
Tagungsplakat
Der Dom in Brixen
© Foto: Natascha Naujok
Der Dom in Brixen

Prof. Dr. Natascha Naujok

Position Professorship for Language and Communication

Telefon +49 (0)30 845 82 246

E-Mail naujok@eh-berlin.de

Ort/Büro House D, room D 105

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