KiTraP - Kirchenentwicklung in Transformationspraktiken

Kirchenentwicklung in Transformationspraktiken. Multiperspektivische Erkundungen im Raum der EKBO

Das Projekt knüpft konstruktiv an den mehrphasigen Kirchenreformprozess an, der in der EKBO unter dem Leitmotto „Salz der Erde“ über ein Jahrzehnt hinweg mit großem Aufwand, weitem Radius und hohem Ertrag vorangetrieben worden ist. Im Anschluss an die praxistheoretische Wende in den Kultur- und Sozialwissenschaften, die vermehrt auch kirchentheoretisch aufgenommen worden ist, soll Kirchenentwicklung in drei miteinander abgestimmten Projekten als transformative Praxis untersucht werden. 

Mit dieser Leitintention sind drei Pointen verbunden: 

Erstens verlagert sich der Fokus von der Zukunft in die Gegenwart, vom Imperativ zum Indikativ. Die gegenwärtigen kirchentheoretischen Diskussionen sowohl innerhalb der Theologie wie in der Kirche pflegen häufig den Gestus der Forderung – „Kirche muss“, „Kirche soll“ – und verbleiben damit weitgehend im Appell und in der Beschreibung einer eigentlich kaum zu erfassenden Zukunft. Das geplante Projekt dreht die Perspektive um. Kirchenentwicklung findet immer schon statt, nämlich in konkreten Praktiken. Sie erschließt sich in dieser Perspektive dann nicht primär als eine immer erst noch einzulösende Aufgabe, sondern wird verstanden und ernst genommen als eine soziale Realität. 

Zweitens vermag der Fokus auf transformative Praktiken der Kirchenentwicklung den Blick auf Ambivalenzen solcher Praktiken freizulegen. Transformationspraktiken erfolgen stets im Modus von Kontinuität und Diskontinuität. Entwicklung ist nie einlinig, erfolgt nie kontinuierlich nach vorne, sondern im Mit- und Ineinander von Fortschritt und (scheinbarem) Stillstand, von Traditionsbewahrung und Innovationbemühungen. Dabei ist das geplante Gesamtprojekt besonders an den impliziten, nicht-auflösbaren Ambivalenzen interessiert.

Drittens geht das Projekt davon aus, dass bei einem praxistheoretischen Blick auf Kirchenentwicklung unterschiedliche Typen bzw. Ebenen differenziert und aufeinander bezogen werden können. Damit kommt die Vielfalt kirchlicher Transformationspraktiken in Blick.

Forschungsziele der drei Teilprojekte

Das geplante Projekt richtet sich an drei zentrale Perspektiven aus, die jeweils in einer Promotion bearbeitet werden: 

  1. Dem herkömmlichen Verständnis von Kirchenentwicklung am nächsten ist der Typus von kirchenleitenden Transformationspraktiken. Dieser wird in konzeptionell-strategischen Diskursen und in der Implementierung von Kirchenreformstrategien auf der kirchlichen Steuerungsebene fassbar und ist in der Regel von einer hohen Intentionalität gekennzeichnet. Exemplarische Foren und Kontexte solcher Praktiken sind Synoden und Synodenausschüsse, Gemeindekirchenräte, Konsistorien etc.

  2. Davon zu unterscheiden, wenn auch nicht zu trennen ist der Typus der professionellen Transformationspraktiken. Hier geht es um das Handeln der vielen haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter:innen der EKBO, die in ihrem tagtäglichen Handeln mit zahlreichen Transformationsherausforderungen konfrontiert sind und diesen mit je eigenen Handlungsstrategien begegnen. Die transformative Praxis dieser Akteur:innen kann, muss nicht explizit auf Kirchenentwicklung zielen, trägt aber implizit dazu bei

  3. Noch stärker ist der implizite Anteil beim dritten Typus der religiösen Transformationspraktiken. Dieser manifestiert sich in der gelebten Religion vieler Mitglieder der EKBO, aber auch derjenigen Menschen, die Religion leben ohne Kirchenmitgliedschaft. Diese gelebte Religion wird beispielhaft an dem Formwandel der Kasualien fassbar, der sich dann rückwirkend wieder transformativ auf kirchliche Gestaltungsformen auswirkt und sich im Professionshandeln (Ebene 2) abbildet.

Das Projekt bringt also drei Handlungskontexte kirchlicher Transformationspraxis miteinander ins Gespräch, die sonst oft voneinander isoliert betrachtet werden – den Kontext expliziten kirchenleitenden Handelns, den Kontext (berufs-)professioneller Akteur:innen und den Kontext der gelebten Religion von Menschen mit und ohne Kirchenmitgliedschaft. Dabei sind die drei Ebenen durch vielfältige Bezüge miteinander verbunden und eignen sich entsprechend für eine komplementäre Bearbeitung, die auf das Aufspannen einer Geschichte von Kirchenentwicklung im Vollzug auf dem Gebiet der EKBO zielt. Neben dem praxistheoretischen Zugang und dem Bezug auf Fragen der Kirchenentwicklung treten als verbindende Momente die Diskussion um das Verhältnis von Ehren- und Hauptamtlichen, Beobachtungen zu möglichen Verstrebungen von kirchlich-institutioneller, eher dogmatischer Religion einerseits und der gelebten Religion andererseits in den Blick, aber auch die zivilgesellschaftliche Bedeutung und Legitimation religiöser Praktiken und Inszenierungen, die religiöse Ko-Konstruktion von Öffentlichkeit sowie Fragestellungen kontextueller Theologie.

Casual Religion – Kasualagenturen in urbanen Räumen (Teilprojekt)

Gegenstand des Promotionsprojekts ist die Beschreibung und der Wandel von Kasualien und Segenshandlungen als eine Form des „Doing Religion/Doing Church“ unter den Bedingungen urbaner Religionskultur. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem „Segensbüro“ in Berlin Neukölln. Die forschungsleitende Ausgangsthese lautet, dass das Segensbüro Berlin ein Ort transformativer, religiöser Praxis ist, der durch eine beständige Aushandlung unterschiedlicher Einflüsse, Erwartungen und Ansprüche (ko-)konstituiert wird. Dabei sind u.a. folgende Fragestellungen von Interesse: Mit welchen Wünschen kommen Menschen zum „Büro“? Auf welche religiösen Bedürfnisse und Vorstellungen eines „urbanen Milieus“ reagieren und antworten die kirchlichen Mitarbeiter:innen? Welche Bewertungen und Vorgaben – auch von kirchlicher Seite – fließen in Planungs- und Entscheidungsprozesse ein? Wie stellt sich das „Doing Kirche“ am Ort der Genezarethkirche, in deren Räumlichkeiten das Segensbüro angesiedelt ist, in seinen stadträumlichen Bezügen und Konfigurationen dar? Untersucht werden sollen die komplexen Prozesse, in denen sich urbane Religionskultur und kirchliche Kasual- bzw. Segenspraxis wechselseitig beeinflussen, bestimmen und aneinander reiben. Wie Kirchenentwicklung vor diesem Hintergrund sich konkret als Praxis (immer schon) vollzieht, soll auf solche Weise „dicht“ beschrieben werden.

Ihre Ansprechperson

© Florian von Ploetz, © EHB

Prof. Dr. Christopher Zarnow

Position Professur für Systematische Theologie und Ethik | Studiengangsleitung: Masterstudiengang Evangelische Religions- und Gemeindepädagogik

Telefon +49 (0) 30 845 82 211

E-Mail christopher.zarnow@eh-berlin.de

Büro D 207, D-Gebäude

Sprechzeiten Terminvergabe nach Vereinbarung

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